Der Rote Fingerhut (Digitalis purpurea)

Abb. 1 Der Rote Fingerhut beginnt zu blühen.
Abb. 1 Der Rote Fingerhut beginnt zu blühen.

Die Blütezeit des Fingerhuts ist dieses Jahr an vielen Stellen bereits zu Ende; normal wäre der August. Er ist ein wahrer Hummelmagnet und sollte deshalb bei uns in keinem Garten fehlen. Einmal angesiedelt, braucht man in der Regel auch nicht für Nachschub zu sorgen, denn er sät sich sehr gerne selbst aus. Er braucht jedoch kalkarmen, sauren und humusreichen Boden. Da er sehr groß wird und entsprechend Raum beansprucht, muss man meist Sämlinge entfernen. Die natürliche Ausbreitungsgrenze in Deutschland war früher der Harz und der Thüringer Wald; inzwischen hat sie sich durch Garten-Aussaaten auch weiter östlich ausgedehnt. In Europa kommt er natürlicherweise in den atlantisch geprägten, also westlichen Teilen der Länder vor, zusätzlich in Marokko.


Wer einen Fingerhut in weiterem Sinn nicht (mehr) kennt: Es ist eine Kappe, meistens aus Eisen, die man sich über den Zeigefinger stülpt, damit die Finger beim Nähen mit der Hand nicht zerstochen werden. Die Blütenform aller Fingerhut-Arten erinnert daran - oder umgekehrt? Der Gattungsname Digitalis kommt vom lateinischen digitus, dem „Finger“. Trivialnamen sind z.B. Fingerkraut oder Waldschelle. Neben dem Roten (Digitalis purpurea) gibt es in Deutschland noch den Großen Gelben Fingerhut (Digitalis grandiflora), mancherorts auch noch den besonders geschützten Kleinen Gelben Fingerhut (Digitalis lutea). Auf Kahlschlägen wachsen beide großen Arten, ansonsten findet man sie in unterschiedlichen Habitaten. Digitalis purpurea ist auch auf Lichtungen und an Waldrändern zu finden, der Große Gelbe F. in Laubwäldern. Der Kleine Gelbe F. bevorzugt Wälder und Kahlschläge mit kalkhaltigem Boden.

 

Nach genetischen Untersuchungen wurden die Fingerhut-Arten der Familie der Wegerich Gewächse (Plantaginaceae) zugeordnet. Das ist für Botaniker eine Umstellung, denn davor wurden sie wegen ihres Blütenaufbaus den Braunwurzgewächsen (Scrophulariaceae; früher Rachenblütler), zugeordnet.

Digitalis purpurea ist mit bis zu 1,50 m Höhe die größte der einheimischen Digitalis-Arten. Sie ist in der Regel zweijährig. Im ersten Jahr wird eine große Rosette aus Grundblättern gebildet, im zweiten, manchmal auch im dritten Jahr, treibt daraus ein beblätterter Blütenstängel (Abb. 2) hervor.

Abb. 2 Die Blütenstängel von Digitalis purpurea sind reich beblättert.
Abb. 2 Die Blütenstängel von Digitalis purpurea sind reich beblättert.

Die bodennahen Blätter sind bis zu 20 cm lang und deutlich gestielt. Die Blätter fühlen sich oberseits durch die Behaarung samtig an, obwohl sie ein wenig runzelig sind. Die Blattunterseite ist filzig-grau. Die Länge der Blattstiele nimmt nach oben hin ab, bis sie nicht mehr vorhanden sind.

Die Blütenstände der Fingerhüte sind einseitswendige Trauben (Abb. 3).

Die Blüten sitzen dabei wie die einzelnen Früchte an einer Weintraube rund um den Stängel herum, richten sich aber immer dem Licht entgegen aus (Abb. 1), wenden sich also alle zu einer Seite.

Abb. 3 Der Blütenstand des Fingerhuts ist eine einseitswendige Traube
Abb. 3 Der Blütenstand des Fingerhuts ist eine einseitswendige Traube

Die einzelnen Blüten sind zygomorph; d.h., sie sind nicht allseits symmetrisch wie eine radiäre Blüte.

Bei letzterer sähen immer beide Seiten gleich aus, wenn man sie in der Mitte irgendwo falten würde. Zygomorphe Blüten verhalten sich dagegen spiegelsymnmetrisch, d.h. man dürfte sie nur entlang der Mittelachse falten, wenn die andere Hälfte genauso aussehen sollte. Die rosaroten bis weißen Blütenblätter sind zu einer bis zu 6 Zentimeter langen, innen behaarten Glocke verwachsen, dem „Fingerhut“. Der untere Teil bleibt stets durch den grünen Kelch geschützt. Am oberen Blütenrand befindet sich eine angedeutete Oberlippe, am unteren eine ausgeprägte, zudem gefleckte Unterlippe. Sie dient anfangs als Verschluss der Blütenknospe (Abb. 3). Nach dem Öffnen ist sie Lockmittel und Landeplatz für die Bestäuber - ausnahmslos Hummeln. Das Lockmittel sind die weiß umrandeten Flecken. Ein Fingerhut ohne Hummelbelagerung ist ziemlich selten. Die Tiere müssen vollständig in die Blüten hineinkriechen, um an den Nektar gelangen zu können. Sie gehen dabei systematisch vor. Zunächst holen sie sich aus den unteren weiblichen Blüten den Nektar und schreiten dann nach oben fort, um ihn aus den pollenreichen männlichen Blüten zu holen. Dann geht’s zur nächsten Pflanze weiter. In den unteren Blüten wird der Pollen bei der Nektarsuche auf den weiblichen Narben abgestreift, oben neu beladen. So wird nie eine Pflanze mit ihrem eigenen Pollen befruchtet.

 

Hin und wieder entwickelt der Fingerhut wahre Riesenblüten (Pseudo-Pelorien) an der oberen Spitze (Abb. 4). Hierbei handelt es sich um eine Missbildung, bei der aus der zygomorphen eine radiäre Blüte wird. Die abgebildete Blüte dürfte einen Durchmesser von ca. 10 Zentimetern gehabt haben.

Abb. 4 Pseudo-Pelorie einer Fingerhut-Blüte, hier nicht ganz symmetrisch
Abb. 4 Pseudo-Pelorie einer Fingerhut-Blüte, hier nicht ganz symmetrisch

Die Früchte der Fingerhüte sind Kapseln (Abb. 5a). Sind sie reif, bilden sie an den Scheidewänden Spalten (Abb. 5b) und entlassen viele kleine Samen, die durch Wind verteilt werden. 

Abb. 5a Unreifer Fruchtstand eines Fingerhuts

Abb. 5b Eine reife Kapsel hat sich geöffnet


Fingerhüte sind in allen Teilen sehr giftig. Eigenes Experimentieren verbietet sich deshalb. Interessanterweise sind Fingerhüte dennoch Futterpflanze für eine Reihe von Spanner-Raupen (Nachtfalter).

Die Giftstoffe sind verschiedene herzwirksame Glykoside, Digitalis-Glykoside oder einfach nur Digitalis genannt. Das Medikament Digitoxin wird aus den Blättern von Digitalis purpurea gewonnen. 


Text und Bilder: Brigitte Steinke, NABU Düsseldorf e. V.

Quellen:

R. Fitter, A. Fitter, M. Blamey, 2000: Pareys Blumenbuch, Parey Buchverlag Berlin, S. 212-213.

Bundesamt für Naturschutz: https://www.floraweb.de/xsql/artenhome.xsql?suchnr=1964&